Wimbledon 2022: Rasen-Klassiker mutiert zur Filmkomödie

Wimbledon Runde 3: Kyrgios und Tsitsipas zeigten neben großartigen Ballwechseln leider auch ihre schlechten Angewohnheiten.

Wimbledon 2022: Rasen-Klassiker mutiert zur Filmkomödie
Nick Kyrgios gegen Stefanos Tsitsipas, ein Match mit Eskalationspotential. Fotos von Kate Tann auf flickr.com.

Das fünfte Aufeinandertreffen der beiden Tourprofis Nick Kyrgios und Stefanos Tsitsipas [4] in der dritten Runde von Wimbledon sorgte für hitzige Diskussionen in der Tenniswelt, die beiden Weltstars lieferten sich eine Schlammschlacht auf heiligem Rasen. Ein Match, welches durch großartiges Tennis glänzen sollte, entwickelte sich zu einem kontroversen Schlagabtausch der Unsportlichkeit.


Konzentration und Konflikt

In den ersten Minuten des Aufeinandertreffens der beiden Kontrahenten blieb die Atmosphäre noch relativ gelassen. Nach einem schnellen 40:0 für Tsitsipas bei eigenem Aufschlag gelang Kyrgios jedoch der Ausgleich. Der Grieche behielt die Nerven und holte sich das erste Spiel zum Stand von 1:0. Das Match zeigte sich im ersten Satz von seiner besten Seite, Kyrgios beeindruckte die Zuschauer mit hervorragendem Ballgefühl und einer präzisen Rückhand. Tsitsipas musste deutlich mehr für seine Punkte arbeiten, hielt sich jedoch gut im Rennen. Beim Stand von 5:5 sorgte einer der Linienrichter für eine heikle Situation, ein Angriffsball von Kyrgios kam deutlich vor der Grundlinie auf und wurde fälschlicherweise "Aus" gegeben. Der Linienrichter entschuldigte sich daraufhin bei den anwesenden Spielern, für Kyrgios reichte die Entschuldigung allerdings nicht aus und es kam zu mehreren lautstarken Beschwerden. Dass der junge Australier eine kurze Zündschnur hat, dürfte mittlerweile jedem bekannt sein. Eine kurze Abweichung von der Normalität, beabsichtigt oder nicht, reichte bereits aus um Kyrgios auf die Palme zu bringen. Es ist verständlich, dass dies zur Verärgerung führen kann, jedoch ist eine derart unhöfliche Reaktion des Australiers bei Wimbledon fehl am Platz. Das Match ging im ersten Satz in den Tiebreak, Kyrgios wirkte bis zu diesem Zeitpunkt etwas mutiger als Tsitsipas. Doch dann folgte das böse Erwachen, der sonst so konstante Aufschlag von Kyrgios brach ein und die Vorhände landeten im Aus. Tsitsipas war im Tiebreak der bessere Spieler und nutzte seine Chancen eiskalt aus, mit 7:6 (7:2) erkämpfte sich der Grieche den ersten Satz.


Kyrgios dreht das Spiel um, Tsitsipas verliert die Fassung

Im zweiten Satz gab es bis zum Stand von 4:4 wieder beeindruckendes Tennis zu sehen, Kyrgios servierte die Bälle so schnell, dass die Shotclock manchmal noch gar nicht angefangen hatte zu zählen. Dass die Geschwindigkeit des Aufschlags Tsitsipas nicht durcheinander gebracht hatte, ist ein wahres Wunder. Der Grieche schien trotz der Geschwindigkeit genug Zeit für die Vorbereitung gehabt zu haben und retournierte die Bälle souverän ins gegnerische Spielfeld. Nach einem abgewehrten Breakball stellte der Australier auf eine 5:4 Führung um, kassierte jedoch auch eine Verwarnung des Schiedsrichters. Einer der Linienrichter war an den Stuhl des Unparteiischen herangetreten, um von einem Regelverstoß zu berichten, wahrscheinlich hatte Kyrgios wieder zu viel gesagt. Aus der erkämpften Führung konnte Australier jedoch Kapital schlagen, er nutzt die Schwäche von Tsitsipas und verwandelte seinen ersten Break-bzw. Satzball zum 6:4. Doch das ging nicht spurlos an dem Griechen vorbei, in einem Anfall von Wut feuerte Tsitsipas einen Ball in die Nähe der Zuschauer. Bei dem Ausrutscher wurde niemand verletzt, Kyrgios forderte vom Schiedsrichter und dem Supervisor die Disqualifikation von Tsitsipas. Nach einer kurzen Diskussionsphase begann Kyrgios bei eigenem Aufschlag den 3. Satz. Beim Stand von 2:1 schaffte der australische Star erneut das Break, Tsitsipas hatte sich weiterhin nicht im Griff und ließ seiner Wut freien Lauf. Ein erneuter Ball Richtung Publikum war nun auch für den Schiedsrichter eine Aktion zu viel, Tsitsipas kassierte eine verdiente Punktstrafe. Das Match mutierte zu diesem Zeitpunkt in eine Hollywood-Komödie, an jeder Ecke passierte etwas Unvorhergesehenes. Kyrgios legte sich schon mit seiner eigenen Box wegen fehlender Unterstützung an, die Familienmitglieder und Sponsoren wurden aufgefordert dem Australier im Stehen unterstützen. Tsitsipas nahm danach keine Rücksicht mehr und zielte gnadenlos auf den Körper seines Gegners, wenn dieser sich zu nahe an das Netz heranwagte. Kyrgios holte sich daraufhin den 3. Satz mit 6:3 und brauchte nur noch einen Satz zum entscheidenden Sieg.


Nick Kyrgios: Hat er Chancen auf den Titel in London? Foto von ryan hurril auf flickr.com

Die Reserven werden verbrannt

So langsam musste Tsitsipas wieder zurück in sein Spiel finden, sonst drohte das Drittrunden-Aus für den jungen Griechen bei Wimbledon. Dies schien zunächst nicht gut zu funktionieren, Tsitsipas lag im 4. Satz 0:40 bei eigenem Aufschlag hinten und musste 3 Breakbälle abwehren. Dies gelang dem an Nummer 4 gesetzten Topspieler mit hervorragenden, druckvollen Aufschlägen. Es folgte ein kurzer Schreckmoment da Kyrgios bei einem Sprint zur Seite stürzte und mehrere Sekunden am Boden liegen blieb. Tsitsipas ließ der Sturz völlig kalt, für freundschaftlichen Zuspruch war es wohl ein wenig zu spät. Kyrgios schüttelte den Sturz gekonnt ab und servierte ohne Probleme zum 1:1. Die Partie erstreckte sich nun über die wichtigste Phase, es folgten Ballwechsel, die man als weltklasse bezeichnen kann. Kyrgios legte sich auch weiterhin mit seiner Box an, die lautstarken Anschuldigungen gingen ausnahmsweise nicht an den Schiedsrichter. Beim Stand von 4:3 drehte der Grieche den Spieß um und erkämpfte sich 3 Breakbälle, Kyrgios konterte den Ansturm und glich unbeeindruckt zum 4:4 aus. Trotz der "Rüpelhaftigkeit" des Australiers muss man die mentale Stärke des Rasen-Spezialisten anerkennen. Beide Kontrahenten schafften daraufhin trotz des hohen Drucks ihre Aufschlagspiele, der 4. Satz bekam sein vorherbestimmtes Ende. Der Tiebreak setzte der hochinteressanten Partie die Krone auf,  bis zum Stand von 4:4 gab sich keiner der Rivalen eine Blöße. Ein zu langer Angriffsball von Tsitsipas verwandelte sich dann doch in ein erstes Mini-Break für Kyrgios. Doch auch der Australier zeigte Nerven und musste seinen Punkt zum 5:5 abgeben. Nach einem nervenaufreibenden Stand von 8:7 folgte der erste Matchball für Kyrgios, die darauffolgende Rückhand-Rallye beendete der Australier mit einem unmenschlichen Stopp in die Rückhandseite von Tsitsipas. Der Grieche gab noch einmal alles, der Ball war jedoch zu präzise gespielt. Nick Kyrgios beendete das Match mit einem Urschrei und schlägt Stefanos Tsitsipas mit 6:7 (2:7), 6:4, 6:3, 7:6 (9:7). Es ist der 25. Sieg in der Karriere des Australiers gegen einen Top-10-Spieler der ATP-Tour.


Von Einsicht keine Spur

In den Interviews nach dem Match ging es vor allem um die Streitigkeiten zwischen Kyrgios und Tsitsipas. Auffällig war, dass der Match-Gewinner die meiste Zeit überhaupt keine Ahnung zu haben schien, weswegen er sich unsportlich verhalten haben sollte. Die Verantwortung dafür schien Kyrgios nicht übernehmen zu wollen, es wirkte fast wie eine komplette Ignoranz gegenüber der Realität. Tsitsipas dagegen schien nicht gut mit seiner Niederlage umgehen zu können, die Anschuldigungen richteten sich hauptsächlich gegen seinen Gegner. Der Auftritt der beiden Kontrahenten war mit Sicherheit kein Paradebeispiel für einen guten Sportsgeist, jedoch konnte dies die fast schon elektrisierende Atmosphäre in London nicht behindern. Wir sind gespannt auf den weiteren Verlauf des Turnieres in Wimbledon.